Der Ethno-Chic ist ja seit einiger Zeit nicht mehr aus der Modewelt wegzudenken und auch in diesem Herbst sind Fransen und Aztekenmuster wieder überall zu sehen. Als großer Mexiko-Fan fallen mir aber leider nur allzu oft die Unterschiede zwischen den Fast Fashion-„Kopien“ und wirklich traditionellen Textilien auf, wie man sie zum Beispiel im Textilmuseum in Oaxaca und den angrenzenden Kunsthandwerkermärkten findet. Umso erfreuter war ich, als ich beim Summer Popup Store im neuen Konsumtempel Bikini Berlin plötzlich einen Stand mit wunderschönen, tatsächlich handbestickten Textilien entdecke. Das eilig inspizierte Schildchen gibt mir recht: „Santa Lupita – Love Stitches from Mexico“. Im Internet finde ich dann die komplett fair produzierte Kollektion für Frauen, Männer, Kinder und Babys und die spannende Geschichte des jungen Labels. Macher Jorge Acevedo lebt in Berlin und nimmt sich für uns die Zeit zu einem umfangreichen Interview.
Hola Jorge, deine Kollektion erzeugt bei mir sofort Urlaubsstimmung. Was für ein Konzept verfolgt ihr? Und wer ist Santa Lupita?
Lupita ist der Kosename für Guadalupe, einen Namen, der in Mexiko sehr oft vorkommt. Mexiko ist ein katholisches Land und dort spielt die heilige Jungfrau von Guadalupe eine sehr wichtige Rolle bei den traditionellen Bräuchen. Vor allem auf dem Land, wo die Menschen sehr gläubig sind, werden viele Frauen nach ihr genannt. Neben Maria ist Lupita also der Name, den man in Mexiko am häufigsten hört. Wir wollten einen Namen, der drei Hauptelemente unserer Marke vereint: das Land Mexiko, die Frau und die Traditionen. Das Wort Santa („heilig“ auf Spanisch) kam dazu, um den Namen Reinheit zu schenken. Damit möchten wir zeigen, dass wir ein Projekt sind, das sich bemüht, die faire Behandlung und die Förderung der mexikanischen Handwerkerinnen voranzubringen.
„Santa Lupita“ ist also ein Modelabel, das auf traditionelle Weise, unter fairen Bedingungen produzierte Bekleidung anbietet. Santa Lupita trägt zum Erhalt von langsam verschwindenden Traditionen. „Santa Lupita“ ist eine Familienmarke (wir haben inzwischen auch Männerbekleidung), die in Familienhaushalten produziert wird, so dass diese Frauen in der Lage sind ihre Familien finanziell zu unterstützen ohne ihre traditionellen Mutteraufgaben vernachlässigen zu müssen. Wir bitten so zu sagen Work Life Balance auf dem Land. Wir haben keine zentrale Produktionsanlage. Unsere Künstlerinnen bleiben zu Hause und betreiben dieses „Hobby“, das von Generation zu Generation weitergegeben wird, für ein paar Stunden am Tag, während die Kinder auf der Schule sind oder schlafen.
Ich habe selbst viele Textilien auf mexikanischen Märkten gekauft – zu deutlich günstigeren Preisen. Wie erklären sich eure Preise, bekommen die Näherinnen mehr Geld? Oder steckt alles im Transport? Wie ist die Arbeit organisiert?
Die Kleider, die man in Märkten in Mexiko findet, entsprechen nicht dem Qualitätsanspruch von „Santa Lupita“. In Mexiko beobachten wir ein trauriges Phänomen: Näherinnen produzieren ihre Teile zu Hause und haben keine stabilen Vertriebsmöglichkeiten. Sie müssen ihre Produkte gelegentlich in Märkten, wo sie an Touristen, die nur ein günstiges Souvenir suchen, oder über Händler, die sie im Preis sehr stark drücken, verkaufen. Die Frauen haben also keine Möglichkeit durch diese Arbeit ein stabiles und faires Einkommen zu erzielen. Oft müssen sie ihre Produkte sogar unter dem Produktionswert verkaufen, um nicht auf den gesamten Kosten sitzen zu bleiben. Das führt dazu, dass sie Alternativen suchen, um günstiger zu produzieren und dass heute viele (wenn nicht die meisten) Teile darum mit synthetischen Stoffen maschinell hergestellt werden.
Qualitativ hochwertige Teile sind auch in Mexiko sehr teuer und schwer zu finden. „Santa Lupita“-Teile sind in so einer Qualität in Mexiko teilweise kaum noch zu finden. Unsere Preise sind dementsprechend höher als auf mexikanischen Märkten, weil wir den Näherinnen einen fairen Preis für diese aufwendige Arbeit zahlen. Wir verhandeln keine Preise, zahlen sogar höhere Preise, als von den Frauen verlangt, wenn wir der Meinung sind, dass sie ihre Ware zu günstig verkaufen – aus Angst einen Auftrag zu verlieren. Gleichzeitig versuchen wir, die traditionellen Produktionsmethoden zu retten. Wir benutzen für viele Teile nur noch natürliche Farben. Günstige synthetische Stoffe sind für uns tabu. Dazu kommen viele andere Kosten: Beschaffung in Mexiko (irgendjemand muss die Arbeit in Mexiko koordinieren, dafür entstehen auch Kosten), Transport, Zoll, Vertriebskosten in Deutschland und auch Steuern (fast ein Fünftel des Preises müssen wir in Form von Mehrwertsteuer an den Fiskus weitergeben), die in Deutschland gezahlt werden müssen. Wenn man das alles berücksichtigt kann man sicherlich nicht von hohen Preisen reden.
Wie bereits erwähnt, haben wir keine zentrale Produktion. Frauen arbeiten zu Hause oder in kleinen, von ihnen organisierten Kooperativen. Wir geben den Frauen die Vorgaben für die Produktion und sie nähen und weben die Teile auf traditionelle Art und Weise. Wir sind also kein Unternehmen mit Massenproduktion. Wenn gewünscht, versorgen wir die Frauen und Kooperativen mit den Materialen – einige bevorzugen die Materialien selbst einzukaufen, weil sie diese von Verwandten oder befreundeten Händlern beziehen. Es herrschen also feste Produktions- und Lieferstrukturen in den Communities. Die Frauen bekommen den halben Preis bei der Bestellung bezahlt, so dass sie nicht in Vorleistung gehen müssen. Der Rest wird bei Abholung der Ware getilgt. Die Frauen sind in 17 unterschiedlichen Communities verteilt, die wir regelmäßig besuchen, um den Produktionsprozess zu kontrollieren.
Wie entstehen eure Kollektionen? Arbeitet ihr mit Designern oder verwenden die Stickerinnen eigene Motive?
Die Designs kommen ausschließlich von den Frauen selbst und beruhen stark auf traditionellen Mustern und Formen. Wir passen die Teile in Form und Größe an europäische Standards an, bestimmen Farben und Kombinationen und kontrollieren die Qualität. Es ist aber gedacht, dass wir in naher Zukunft selbst mit Designern arbeiten, die angelehnt an diese Muster und Formen neue Kreationen entwerfen. So werden wir innovativ und sind in der Lage, ständig neue Produkte anzubieten, die dem anspruchsvollen europäischen Modesinn entsprechen.
Was können wir Deutschen vom mexikanischen (Mode-)Verständnis lernen?
Die Menschen in Mexiko benutzen ihre traditionelle Bekleidung, um sich zu differenzieren und ihren kulturellen Wurzeln einen Ausdruck zu geben. Es geht nicht um Mode und Trends, sondern viel mehr um kulturelle Identität. Die Teile, die zu Hause produziert werden, haben eine individuelle Bedeutung für jede Frau und stellen eine persönliche Geschichte dar. Die Bekleidung wird also nicht als etwas angesehen, was man ein paar Mal anzieht und dann wieder wegschmeißt, sondern als ein Teil, der die Menschen teilweise ihr ganzes Leben begleitet und weiter an die nächste Generation gegeben wird.
Die Bekleidung muss, vor allem auf dem Land, resistent sein. Bekleidung wird dadurch nicht zu einem Gebrauchsgegenstand sondern zu einer Investition mit einem viel höheren Stellenwert als hierzulande. Wir leben in einer Gesellschaft, die immer mehr verlangt. Wir brauchen ständig neue materielle Objekte, neue Anreize und freuen uns immer weniger über Sachen fürs Leben, Sachen, die eine persönliche Bedeutung haben. Dieses Verhalten ist gerade in Industrieländern sehr stark geprägt. Gerade im Modeverhalten, brauchen wir unseres Erachtens keine vorübergehenden Moden verfolgen, sondern einen eigenen Stil entwickeln, der uns als Individuen eine Möglichkeit zum Ausdruck der persönlichen Eigenschaften und Denkweisen gibt. Dies können wir vielmehr dadurch schaffen, in dem wir diese Art von traditioneller Bekleidung in die Garderobe bringen.
Das heißt nicht, dass jeder in mexikanischer Tracht laufen muss, sondern, dass jeder für sich entscheidet, welcher Stil mehr zu der eigenen Identität passt und dementsprechend seine Garderobe ausstattet, mit langlebigen Kleidern, die ein Geschichte hinter sich haben. In diesem Sinne können wir sicherlich sehr viel von den Mexikanern auf dem Land lernen.
Muchas gracias für das ausführliche Interview, Jorge, und weiterhin viel Erfolg mit „Santa Lupita“!
ff